Das ist unser Haus
Graffity im Areal des Olaf-Ritzmann-Hauses (Foto: anonym)
Gespräche mit Zeitzeug*innen: Andrea
"Nicht nur eine Seifenblase"
Du warst ja dabei, als Ende 1980 das erste Haus in Nürnberg besetzt wurde. Erzähl doch mal, was euch damals dazu gebracht hat, ein Haus zu besetzen.
Andrea: Vielleicht vorweg: Ich wurde sehr, sehr schnell und ganz unvermittelt überredet, hier als Zeitzeugin mitzumachen. Ich konnte so schnell nicht Nein sagen. Aber ich freue mich ganz arg, dass ich mich überwunden habe, mitzumachen. Denn es löst dann doch so viel aus an Erinnerungen und Gedanken, die man auch nochmal sagen und mit anderen teilen möchte. Wenn Armin Kuhn die Hausbesetzungsbewegung als „Kämpfe gegen fordistische Stadtpolitik“, gegen Wohnungsnot und „Kahlschlagsanierung“, aber auch als Teil einer Jugendrevolte beschrieben hat, dann war unsere Hausbesetzung am 24. Dezember 1980 so eine Mischform von allem. Sie hatte einen Hauch von dem und von dem und von dem.
Ich selbst war eigentlich nicht von Wohnungsnot betroffen. Ich war nicht die, die kein eigenes Zimmer hatte und ich war auch nicht die, die daheim ultra schlecht behandelt wurde. Ich hatte einfach Freunde, die alle sehr politisch waren. Und das hat mir sehr gut gefallen und sehr imponiert. Da habe ich mich miteingebracht und fand die Idee dieser Hausbesetzung einfach wahnsinnig wichtig für alle Menschen, die mit Wohnungssuche oder Wohnraum ein Problem haben. Ich selbst hatte zur damaligen Zeit noch ein Zimmer zu Hause bei meinen Eltern. Aber natürlich wollte ich dann auch dabei sein und all diese Freiräume genießen und das alles mitgestalten und mit vorantreiben. Es sollte nicht einfach nur so eine Seifenblase sein, die dann zerplatzt und, zack, ist alles wieder wie vorher. Sondern das war eine Aktion, in der hat man seinen Idealismus eingebracht und sich engagiert. Ich glaube, so aktiv wie zu dieser Zeit, Weihnachten 1980, ich war kurz vorher am 15. Dezember gerade 18 Jahre alt geworden, so aktiv war ich mein ganzes Leben nicht mehr wieder. Das war so schön, sich da gut aufgehoben zu fühlen und zu sagen, das ist etwas, das ist es mir wert, mich einzusetzen und zu kämpfen. Nicht, weil ich es unbedingt als Person brauche, aber für alle anderen. Und das hat mir sehr, sehr, sehr viel gebracht.
Die Hausbesetzung war also an Weihnachten 1980 und bis Februar habt ihr dann in dem Haus gewohnt. Wie hast Du denn diese Zeit erlebt? Was waren prägende Ereignisse, an die Du bis heute denkst?
Andrea: Also ich denke daran, dass ich mich scheinheiligerweise von meinen Eltern an diesem Abend mit meinem Schlafsack und allen Utensilien zum KOMM habe fahren lassen. Ich hatte ihnen gesagt, dass da abends noch eine Party oder ein Konzert sei – und dass es danach noch später werden könnte. Das haben die auch liebend gerne gemacht. Und es war völlig klar, dass ich an diesem Abend im Festsaal auf die Bühne gehen soll, mittendrin während des Konzerts, zu einer bestimmten Uhrzeit. Die war genau vorgegeben, weil die anderen wollten, dass exakt zu dieser Uhrzeit dann die Durchsage von der Hausbesetzung kommt. Und ich stand dann auch prompt rechtzeitig auf der Bühne und habe kundgetan, dass jetzt gerade, in diesem Moment, die Johannisstraße 70 besetzt wurde. Und wenn das Konzert zu Ende sei, sollen doch bitte alle, jede und jeder, die sich solidarisch fühlen, dort noch hinfahren und vorbeikommen und unterstützen.
Das zweite, woran ich mich ganz, ganz, ganz genau erinnere, ist, dass am 26. 12. mein Opa wie immer Geburtstag hatte und ich bin von der Johannisstraße 70 mit der Straßenbahn zum Dutzendteich gefahren, habe unterwegs meine ganzen Flugblätter verteilt in der Straßenbahn, und habe mit allen Menschen, die da vorhanden waren, Gespräche geführt, wie wichtig das doch alles wäre. Und auf der Feier bei meinem Opa hatte ich natürlich ein bisschen gemischte Gefühle. Meine Eltern haben sich zu diesem Zeitpunkt recht neutral verhalten. Sie wussten, ihre Tochter ist dort, aber sie wollten sich, glaube ich, noch nicht so wirklich klar positionieren. Die haben sich damals noch bedeckt gehalten, haben aber dann, spätestens nach den Massenverhaftungen am 5. März in erster Reihe im KOMM gesessen. Da ist dann doch so ein Gedankenschub bei ihnen vor sich gegangen. Aber meine andere Verwandtschaft war ganz klar der Meinung: "Was ist das denn? Das geht ja gar nicht." Und meine Großeltern waren, Gott sei Dank, die Einzigen, die das von Anfang an wirklich, wirklich gut fanden und die mir am Schluss auch noch ein riesiges Paket mit Essen und Trinken mitgegeben haben für die armen Menschen, die sich jetzt da einsetzen und vielleicht gar nichts haben. Das waren für mich ganz, ganz wichtige Erlebnisse, an die ich mich auch heute noch erinnere, als wäre es gestern gewesen. Und die mich immer beflügelt haben, weiter an solchen Gedanken einfach festzuhalten.
Wie war denn damals die Reaktion bei den anderen Jugendlichen und allgemein in der Gesellschaft auf eure Hausbesetzung?
Andrea: Also ich habe ganz, ganz viele Freunde, Freundinnen nach der Besetzung dort in der Johannisstraße kennengelernt. Diese Kontakte halten bis heute noch. Die kannte ich vorher nicht und im Zuge der Hausbesetzung sind die auf mich und ich bin auf sie gestoßen. Mit vielen habe ich heute noch Kontakt und wir pflegen das.
Du hast jetzt erzählt, ihr wart sehr jung und unerfahren, als ihr das Haus besetzt habt. Aber gab es denn auch Kontakte zu einer organisierten Linken? Und wenn ja, wie war Euer Verhältnis? Wie hat die Zusammenarbeit ausgesehen?
Andrea: Das ging so schnell alles, es war so viel, man war so aktiv und hat gemacht und gemacht. Im Dezember war die Besetzung. Und spätestens ab Januar gingen dann aber neben der Instandbesetzung auch die Diskussionen los über Politik, über Inhalte, nicht nur über Aktionen, jetzt im Moment, sondern auch über fundierte Inhalte. Und da war es dann schon völlig klar, dass diese ganze Truppe nicht unbedingt auf den Punkt genau einheitlich und stimmig ist. Dann haben mehr Leute angefangen, was zu lesen, andere aber vielleicht weniger. Im Lauf der nächsten Monate hat sich das dann so herauskristallisiert, wer sich wo ansiedelt. Aber ich glaube, in der ersten Zeit, vielleicht ab Dezember bis Februar, da sind einfach ganz viele noch mit rein gerutscht, nicht die Masse, aber manche, die noch gar nicht wussten, was wollen sie denn eigentlich auch auf Dauer. Und das war schon auch ein interessanter Bildungsprozess, zu sehen, wer tut sich dann mit wem zusammen? Wer liest welche Bücher, wer bildet sich geschichtlich und politisch weiter? Und das war schon toll auch, dass da in der Richtung so viel passiert ist.
Wie kam es eigentlich dann zu diesen weiteren Hausbesetzungen, die auf die Johannisstraße gefolgt sind? Waren die eher so spontan von ganz anderen Gruppen? Oder war es letztendlich trotzdem diese Kerngruppe, die von Anfang an die erste Hausbesetzung initiiert hat und die das dann auch weiter geplant, vorangetrieben hat?
Andrea: Dazu könnte sicher jemand etwas sagen, der die Veillodterstraße mit besetzt hat. Ich selbst war nach den Massenverhaftungen im KOMM mit einer Frau aus der Veillodterstraße eine Woche im Knast gesessen. Und ich war so froh, dass ich die bei mir hatte, weil ansonsten wäre ich wahrscheinlich vor Angst und Schiss gestorben. Das waren die Leute, denen ich auch vertraut habe. Es war sehr schön in der Zelle (lacht).
Was ist denn bis heute für Dich übrig geblieben aus diesen intensiven Zeiten? Zwei, drei Monate in einem besetzten Haus zu leben, das war doch wahrscheinlich ein ganz anderes Leben als vorher. Was ist über vierzig Jahre danach denn noch zurückgeblieben, in Deiner Lebenshaltung oder auch Weltanschauung?
Andrea: Da möchte ich doch nochmal über die Räumung unseres besetzten Hauses sprechen. Da war ich nämlich nicht vor Ort. Ich war zu dieser Zeit clevererweise mit meinen Eltern mal kurz eine Woche Skifahren. Ich hätte nie gedacht, dass genau in dieser Woche die Räumung stattfindet, sonst wäre ich niemals gefahren. Aber ich war dann danach nochmal Mitglied und Mitbewohnerin des Olaf-Ritzmann-Kollektivs in der Regensburger Straße. Das würde ich als Erfahrung auch nie missen wollen. Und was ist geblieben bis heute? Auf jeden Fall der Idealismus, dass man sich immer ganz und gar für eine Sache einsetzen sollte, die einem am Herzen liegt, die nicht nur so ein Faible ist, oder eine Gruppe, an der man teilnimmt, sondern etwas, die so wichtig ist, dass man sein ganzes Leben danach ausrichtet.
Bei mir war es so, ich habe sehr, sehr jung zwei Kinder bekommen, fast ein bisschen zu früh. Damals hatte noch fast kein anderer in meinem Freundeskreis Kinder. Ich habe dann gemerkt, ich muss trotzdem das, was mir wichtig ist, einfach weiter umsetzen. Und ich denke, dass ich das bis jetzt getan habe. Ich war in Kindertagesstätten tätig als Leitung. Und das Wichtigste war mir immer, genau diese Werte an Eltern und Kinder zu vermitteln, von denen ich sage, das ist wichtiger als alles andere. Einfach Werte, eine bestimmte Haltung, das geht über alles und das bringt einen weiter. Und ich glaube, dass ich da gute Dienste geleistet habe. Seit kurzem bin ich jetzt, glücklicherweise in passiver Altersteilzeit und musste mich jetzt nochmal ganz neu sortieren. Aber es bleibt dabei, auch da ist es mir immer wichtig, für andere noch genau diese Dinge weiter voranzutreiben.