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Das ist unser Haus

Mit diesen Flugblättern machten die Besetzer*innen der Johannisstraße 70 an Weihnachten 1980 auf ihre Aktion und deren Ziele aufmerksam

Chronologie

1980

12. Dezember: In Berlin eskaliert nach der von der Polizei zunächst verhinderten Besetzung des Hauses Fraenkelufer 48 die Lage in Kreuzberg. Es kommt zu mehrtägigen Straßenschlachten im Viertel und am Kudamm mit zahlreichen Festnahmen und teils schwer Verletzten, Zerstörung von Schaufenstern und Plünderungen.

24. Dezember: Ein nach dem Tod der Besitzerin leerstehendes Haus in der Johannisstraße 70 im Nürnberger Stadtteil Johannis wird von ca. 30 Jugendlichen „instandbesetzt“. Die Polizei greift nicht ein. Das Haus wird nach Olaf Ritzmann benannt, einem jungen Mann, der im Sommer in Folge eines Polizeieinsatzes nach einer Demo gegen Franz-Josef Strauß in Hamburg ums Leben gekommen war.

31. Dezember: Im Anschluss an ein Fest einer Künstler-Kooperative in der Veilloderstraße 33 in Nürnberg wird das zum Abriss vorgesehene Gebäude besetzt, das bis dahin Kneipe und Café, eine Kleinkunstbühne und eine Lebensmittelkooperative beherbergt hatte. 


1981

04. Januar: Nach einem Überfall durch vier maskierte Personen auf den Besitzer der Veilodterstraße 33, dem Immobilienspekulation vorgeworfen wird, wird das Haus geräumt. Zusammen mit ihrem Rechtsanwalt, der sich im Haus aufgehalten hatte, werden 69 Besetzer*innen vorübergehend festgenommen. Gegen sie wird wegen Körperverletzung und des Raubs einer Handtasche der Frau des Hausbesitzers ermittelt. Das Haus wird von der Polizei unbewohnbar gemacht und Mobiliar zerschlagen.

Im Anschluss kommt es zu weiteren Festnahmen und der Durchsuchung von Wohngemeinschaften.

05. Januar:Die Räumung ist Thema einer Vollversammlung im KOMM. Im Rahmen eines "Scherbengerichts" werden Einrichtungsgegenstände aus der Veilodterstraße 33 vor das Polizeipräsidium geworfen.

13. Januar:Besetzung in Erlangen, Loschgestr. 8. Besitzer ist der Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion. Er erstattet zunächst keine Anzeige, sondern verhandelt mit den Be­setz­er*in­nen, die mit den In­stand­setz­ungsarbeiten beginnen.

18. Januar:In Fürth werden mehrere leerstehende Gebäude besetzt. Die Besetzer*innen einer Villa in der Königswarter Straße 20 fordern den Erhalt des Abriss bedrohten Gebäudes und die Einrichtung eines selbstverwalteten Zentrums.

21. Januar:Nach dem Strafantrag des Eigentümers der Königswarter Straße 20 wird das Haus ohne Widerstand verlassen. Es folgen verschiedene Aktionen der Hausbesetzungsszene. Unter anderem wird dem Fürther Oberbürgermeister Scherzer der "Goldene Bagger" verliehen. Infolge der Proteste wird die Villa dauerhaft vom Abriss bewahrt.

Januar/Februar:Besetzung des städtischen Gebäudes in der Hauptstraße 110 in Erlangen. Im Verlauf wird ein Verein zur Organisierung von günstigen Wohnungen und Wohnraumsanierung in Selbsthilfe gegründet, der als Gesprächspartner mit der Stadt fungieren soll. Diese zeigt sich jedoch unwillig die Besetzung zu dulden und stellt ein Ultimatum. Daraufhin wird das Haus freiwillig verlassen.

18. Februar:Am Morgen erfolgt die Räumung des Olaf-Ritzmann-Hauses in der Johannisstraße 70. Die Räumung wird trotz Fehlen eines damals noch obligatorischen Räumungsantrags der Besitzer vorgenommen. Die Besetzer*innen werden von der Polizei aus dem Haus getragen.

Wenige Stunden darauf werden ca. 100 Personen daran gehindert in den Sitzungssaal des tagenden Stadtrats einzudringen. Daraufhin besetzen sie für kurze Zeit das Wohnungsamt.

Am Abend wird die Räumung auf einer Vollversammlung des KOMM diskutiert. Ein Demozug bildet sich und zieht von Einsatzkräften der Polizei begleitet zunächst durch die Innenstadt und dann ins Stadtteil Johannis. Ein leerstehendes Haus in der Roritzer Straße wird von Aktivist*innen aus der Demo heraus "scheinbesetzt", um die Polizeikräfte zu binden. Die Eindringlinge setzen sich allerdings sofort über Garten und Hinterhöfe ab. Als der Demozug schließlich weiterzieht, zeigt sich, dass ihr Ziel in Wirklichkeit das städtische Anwesen Johannisstraße 47 gewesen war, aus dessen Fenstern sie Transparente gehängt haben.

19. Februar:Um 4 Uhr morgens wird die Johannisstraße 47 geräumt. Die Besetzerinnen verlassen das Haus freiwillig oder werden herausgetragen. Zwischen dem Nürnberger Stadtrat mit SPD-Mehrheit und den Besetzerinnen der Johannisstraße 70 kommt es zu einer Vereinbarung, auf Grund deren eine Ersatzunterkunft gestellt wird, bis ein für Instandsetzung geeignetes städtisches Gebäude gefunden ist.

Zum Ende des Jahres sollte tatsächlich ein leerstehendes Gebäude in der Regensburger Straße 412 zur Verfügung gestellt werden, das noch heute Olaf-Ritzmann-Haus heißt und kollektiv bewohnt wird.

20. Februar bis 05. März:Die Besetzungsbewegung organisiert fast täglich zahlreiche kleinere Demonstrationen.

05. März:Nach einer Filmvorführung der Medienwerkstatt und der Gruppe Prolos über die Amsterdamer Kraaker folgt ein Teil des emotional aufgewühlten Publikums der Aufforderung anwesender Hausbesetzerinnen, sich einer Demo durch die Innenstadt anzuschließen, in deren Verlauf ein Polizeiauto und mehrere Schaufensterscheiben zu Schaden kommen. Im Anschluss daran umstellen Einsatzkräfte der Nürnberger Polizei, der Münchner Bereitschaftspolizei und des SEK das KOMM, in das sich ein großer Teil der Demoteilnehmerinnen zurückgezogen hatte. 172 KOMM-Besucher*innen werden nach stundenlanger Belagerung schließlich festgenommen.

06. März:Für 141 der Festgenommenen werden von fünf verschiedenen Richtern hektografierte Haftbefehle unterzeichnet, die den Vorwurf des Landfriedensbruchs erheben. Sie werden auf bayerische Haftanstalten verteilt, in denen sie mehrheitlich wochenlang in U-Haft verbringen.

07. März:2000 Menschen beteiligen sich an einer Demo, die sich gegen die Verhaftungen und gegen "Bullenterror" richtet.

09. März:In das Rechenzentrum der „Gemeinnützigen“ Wohnungsbaugesellschaft in Langwasser wird ein Brandsatz geworfen, der sich jedoch nicht entzündet. Verantwortlich zeichnet die "Unkontrollierte Bewegung 5. März".

10. März:Die Minderjährigen unter den Verhafteten werden entlassen. 10 000 Menschen beteiligen sich an einer Protestkundgebung vor der Nürnberger Lorenzkirche, zu der die SPD aufgerufen hatte und an der sich auch Kirchen und Gewerkschaften beteiligen.

12. März:Bayerische Schüler*innen protestieren gegen die Massenverhaftungen und gegen ein Diskussionsverbot an Schulen über die Ereignisse.

13. März:Tausende Menschen bei Veranstaltungen und Demos im Rahmen eines bundesweiten Aktionstags solidarisieren sich mit den Verhafteten. In Nürnberg beginnt der Aktionstag mit Protesten vor dem Gerichtsgebäude. Ein Sternmarsch von Schülern trifft mittags am Bahnhof zusammen. Eine Demo zieht von der Lorenzkirche zum Gefängnis, vor dem ein Konzert stattfindet. Im weiteren Verlauf wird in der Wielandstraße ein Haus besetzt.

18. März:Eltern und Angehörige erstatten Anzeige gegen die fünf am 05. März involvierten Ermittlungsrichter wegen Rechtsbeugung, Freiheitsberaubung und Verfolgung Unschuldiger.

03. April:40-50 Personen besetzen eine leerstehende Villa in der Roritzerstraße 5 im Nürnberger Stadtteil Johannis.

06. April:Bei der Räumung des Hauses in der Roritzerstraße kommt es zu Auseinandersetzungen. Die eindringende Polizei wird mit Gegenständen beworfen, u.a. mit einer Übungshandgranate der Bundeswehr. 12 Personen werden festgenommen. Fünf weitere ziehen sich aufs Dach zurück und drohen damit, herunter zu springen. Schließlich ergeben sie sich jedoch und werden ebenfalls festgenommen. Bei späteren Verfahren werden drastische Haftstrafen gegen die Besetzer*innen verhängt.

11. April:Symbolische Besetzung des historischen Geismannbräustübels in Fürth

27. und 28. Juni:Im Rahmen des überregional beworbenen "Hausbesetzerfestival" in den Pegnitzauen findet eine Demo mit 2000 Teilnehmenden statt. Dabei kommt es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Fensterscheiben werden eingeworfen.

27. Juli:Die Bürgerinitative 05. März wird gegründet und nimmt ihre Arbeit auf.

31. Oktober:1000 Menschen demonstrieren in Nürnberg für das Demonstrationsrecht und gegen Kriminalisierung.

03. November:Der Prozess gegen 10 Personen, die wegen der Demo am 05. März angeklagt wurden, beginnt. Die Verteidigung deckt auf, dass Akten manipuliert wurden. Zeugenaussagen eines V-Manns, der 22 Personen erkannt haben wollten, waren durch spätere, von Polizisten erst Wochen danach zu Protokoll gegebene, ersetzt worden.

24. November:Der „KOMM-Prozess“ wird wegen der zahlreichen Widersprüche ausgesetzt. 1982 wird das Verfahren schließlich eingestellt. Ein Freispruch der Angeklagten erfolgt nicht.

24. Dezember:Ein Jahr nach der Besetzung des Olaf-Ritzmann-Hauses wird als "Jubiläumsaktion" ein zum Abriss vorgesehenes ehemaliges Kino neben dem KOMM besetzt. Die Besetzer*innen setzen sich über eine Feuerleiter ab, als die Polizei noch in der Nacht mit der Räumung beginnt. Diese wird nur einer einzigen Person habhaft, die "vergessen" wurde, weil sie alkoholisiert hinter einem Vorhang eingeschlafen war.

Aus der Menge, die sich aus dem KOMM vor das Haus begeben hatte, werden die Einsatzkräfte mit Schneebällen beworfen.